Wie Leute auf die Diagnose reagieren

Wenn ich Leuten sage, dass ich autistisch bin, reagieren sie meistens so: «Wow, das hätte ich nie gedacht. Du tust nicht so, als hättest du Autismus». In der Zwischenzeit frage ich meistens zurück, wie sie sich denn jemanden vorstellen, der Autismus hat. In der Regel bekomme ich dann keine wirklich sinnvolle Antwort. Die Leute haben meistens keine Vorstellung, wie sie jemanden im autistischen Spektrum erkennen könnten. Während ich dann versuche zu erklären, was es bedeutet im Spektrum zu sein, habe ich den Eindruck, dass die Leute wirklich Interesse für meine Ausführungen haben. Oftmals stellen sie mir dann auch noch Fragen dazu. Ich versuche die Fragen dann anhand meiner Erfahrungen zu beantworten. Ich habe auch meistens kleine, selbstgemachte Informationsbroschüren dabei, welche ich bei Interesse abgeben kann.

Der Nutzen des Outings ist eher gering

Obschon sich die Menschen vielfach interessiert zeigen und dann auch über mich Bescheid wissen, ergeben sich kaum Verbesserungen im Gewinnen von Kollegen oder Freunden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Leute eher noch mehr Abstand nehmen. Scheinbar will sich niemand auf einen Menschen mit Autismus einlassen. Die Leute haben vielleicht Angst, dass ich zu einer mühsamen Belastung werden könnte. Meine zurückhaltende Art kommt halt auch generell selten gut an. Ich bin kein Stimmungsmacher. Ich bin wohl einfach zu langweilig.

Dennoch bin ich froh, dass ich seit einiger Zeit weis, dass ich autistisch bin. Für mich selber war die Diagnose wertvoll

Wäre eine frühe Diagnose besser gewesen?

Ich frage mich manchmal, wie mein Leben gewesen wäre, wenn ich als Kind diagnostiziert worden wäre, statt erst mit 50 Jahren. Vielleicht würde es mir heute etwas besser gehen. Vielleicht hätte ich heute sogar noch mit ehemaligen Schulkameraden Kontakt. Man hätte mir zeigen können, wie man auf andere Menschen korrekt zugehen muss, um nicht ständig abgelehnt zu werden. Freundschaften im Kindesalter können ja bis weit ins Erwachsenenalter anhalten. Ich wüsste gerne wie es wäre, eine solche Freundschaft zu haben. Ein wirklich schöner Gedanke.

Hätte man es dazumal merken sollen, als ich wegen Lispeln und Stottern bei der Logopädie war? Oder dass ich während der Pausen-Zeit auf dem Schulhof meistens alleine für mich war? Oder dass ich in der Schule des öfteren gemobbt wurde? Hätten es meine Eltern erkennen können oder sogar müssen? Nein, ich denke nicht. Ich mache ihnen keinen Vorwurf. Im Gegenteil. Hätte ich sie nicht gehabt, hätte ich mich wohl schon lange vor den Zug geworfen. Dazumal vermutete einfach niemand Autismus. Es hiess einfach nur, dass ich schüchtern, sehr ruhig und introvertiert sei. Das würde sich schon irgendwann von alleine lösen… er wird den Knopf schon noch öffnen.

Einsames Leben

Und so lebte ich mein Leben. Oft in mich gekehrt. Für mich alleine. So wie es für mich auch immer gestimmt hatte und normal war. Manchmal war es aber schon frustrierend nicht zu wissen, warum ich mich anders fühlte und weswegen mein Leben irgendwie anders verlief als es die Leben der anderen Menschen taten. Mir bekannte Leute heirateten, zeugten Kinder und waren beruflich mehr oder weniger erfolgreich. Nur mein Leben verlief anders. Ich bin auch jetzt noch alleine. Von beruflicher Karriere keine Spur. Freundschaften sind mir ein Fremdwort. Und die wenigen Kollegen in meinem Leben kann ich an einer Hand abzählen. Nein, sogar zwei Finger reichen aus. Die beiden Kollegen sehe ich immerhin ein paar Mal im Jahr. Es gibt aber auch Monate ohne jeglichen Kontakt zu den beiden Kollegen. Es ist auch eine eher einseitige Sache. Meistens muss ich mich bei ihnen melden. Es käme keinem der Beiden in den Sinn, sich mal bei mir zu melden und ein Treffen zu vereinbaren.

Früher war es schlimmer

Durch die Diagnose verstehe ich mein Leben einiges besser. Es ist allerdings weiterhin ein täglicher Kampf mit dem Leben umgehen- und es verstehen zu können. Dennoch glaube ich, dass ich ein besserer Mensch werden kann und vielleicht etwas mehr Zugang zu anderen Menschen finden kann. Dennoch ist die Chance, dass es mehr Leute geben wird welche sich mit mir abgeben möchten, auch in Zukunft eher klein. Die Einsamkeit wird vermutlich bis zu meinem Ableben mein treuer Begleiter bleiben. Einen Trost jedoch habe ich: ich bin es mir gewohnt. Es schmerzt nicht mehr so stark wie früher.

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