Warum es uns braucht

oder… warum Neurotypische den falschen Weg gehen.

In der Kinderzeit und auch in den ersten Schuljahren war mir noch nicht bewusst, dass ich anders als die Anderen war. Ich bemerkte mir gegenüber oftmals eine gewisse Zurückhaltung und auch Ablehnung. Warum das so war, das wusste ich dazumal noch nicht und habe es daher auch nicht verstanden. Mit der Zeit wurde es einfach zur Normalität.

Warum es uns braucht

Gefühle

Ich bin aber kein gefühlsloses Wesen. Im Gegenteil. Darum hat es meine Seele schon hin und wieder berührt und belastet. Je älter ich wurde, desto mehr erkannte ich, dass ich nichts für meine Art konnte. Es hiess einfach, dass ich sehr introvertiert sei. Viele andere Menschen wären es auch. Die einen etwas mehr, die anderen etwas weniger. Irgendwie war das beruhigend. Doch wirklich zufriedenstellend waren diese Aussagen aber doch nicht. Das Thema der Unterschiede liess mich eigentlich nie los. Ich studierte ständig daran herum. Erst seit ich mich, dank meiner Diagnose, mit Autismus zu beschäftigen begann und ich mich nun etwas auskenne, ist mir klarer geworden, um was es wirklich geht. Das Thema begann mich sogar zu faszinieren. Darum entstand auch dieser Blog.

Ich glaube sehr viele Menschen, welche eine Autismus-Diagnose bekommen haben, oder welche ein autistisches Kind haben, beginnen sich von alleine für Autismus zu interessieren. Ich bin da sicher keine Ausnahmeerscheinung.

Nichtwisser

Neurotypische Menschen (Menschen ohne Autismus), wie sie von Autisten gerne genannt werden, kennen sich zum Thema Autismus in der Regel nicht sonderlich gut aus. Hier mitlesende Autisten kennen ja die Aussage «man merkt es Dir ja überhaupt nicht an» zur Genüge. Nun, ich nehme es den Neurotypischen auch nicht übel. Ich wusste vor meiner Diagnose ja auch nichts über Autismus. Ich hätte ja auch keinen Grund gehabt, mich über dieses Thema zu interessieren. Da gab es wahrlich spannendere Dinge.

Doch wie kommen die Menschen auf die Aussage, dass man es mir ja überhaupt nicht anmerkt? An was könnte man es denn merken, wenn man nicht gerade Raymond aus dem Film Rain Man vor sich stehen hat? Weis man als Unwissender überhaupt, ob Raymond ein Autist ist? Oder würden nicht wenig einfach sagen, der ist vermutlich behindert?

Ich kenne mich etwas aus

Ich kratze als Betroffener und Interessierter natürlich auch nur an der Oberfläche. Autismus ist sehr komplex und sehr verschieden. Ich verstehe immer noch vieles nicht. Mich wohl etwas mehr als andere. Ich verstehe vor allem aber viele Neurotypische nicht. Warum sie etwas tun oder warum sie so handeln. Manchmal verstehe ich ja nicht einmal, was sie von mir wollen, wenn sie mich ansprechen. Dennoch versuche ich mich in der «normalen» Welt zurecht zu finden. So gut es geht. Ich versuche alle Menschen auch immer so zu akzeptieren, wie sie sind. Es gelingt natürlich nicht immer, aber ich versuche mein Bestes.

question mark 2492009 1920

Fühle mich nicht ernst genommen

Ich habe oft den Eindruck, dass mich die Neurotypischen nicht immer ganz ernst nehmen. Vielleicht liegt es daran, dass ich immer sage was ich denke oder manchmal überhaupt nichts sage oder einfach zu wenig schnell bin, etwas zu sagen, was wirklich Sinn macht. Vielleicht liegt es daran, dass ich immer in alle Richtungen denke und dabei manchmal auf sehr gewagte Ideen und Theorien komme. Und meine Denkprozesse sind oftmals sehr augeprägt und anstrengend. Ich sehe fast immer eine Lösung zu einem Problem. Auch wenn es krasse Lösungen sind. Es sind aber sehr oft logische Lösungen. Lösungen welche auch sehr oft Einschränkungen bedeuten. Doch so etwas ist nicht gefragt. Sich einschränken oder Dinge hinterfragen und komplett verändern? Aber nicht bei Neurotypischen. Die sehen oftmals nur die schnellste und einfachste Lösung.

Ich merke das sehr oft auch am Arbeitsplatz. Ich habe den Eindruck, dass ich ein Mensch der 2. Klasse bin. Mir fällt es auch immer schwer, Situationen richtig einzuschätzen. War jetzt etwas gegen mich gerichtet? Versucht mich jemand für dumm zu verkaufen? Will mich jemand in die Pfanne hauen? Oder ist mir jemand gut gesinnt? Will mir sogar jemand helfen oder mir etwas mitteilen, was mir helfen könnte? Ich sage Euch, liebe Leser*innen, es ist wirklich sehr kompliziert zu erkennen, woran ich mit Euch bin. Das kostet enorm viel Kraft und Energie.

Ich will nur ich sein

Ich möchte ja eigentlich nur ein Mensch sein. Ein Leben leben zu dürfen, so wie ich es am besten kann. Sie wie es mir gut tut. Doch in dieser für mich schrägen und dummen Welt lässt mich dieses idiotische neurotypische System nicht sein, wie ich sein möchte. Denn die Neurotypischen denken, dass nur ihre Art die Richtige Art ist. Nein, die wissen nicht einmal, dass es unterschiedliche Arten gibt. Es gibt einfach nur sie. Sie Denken wie ein Ross mit Scheuklappen. Und wer nicht so denkt und ist wie sie, der ist … ja was eigentlich?

Die Sichtweise der Neurotypischen ist auf sie selber bezogen. Sie begreifen nicht, dass es auch noch andere Arten gibt. Autisten zum Beispiel. Menschen die ein anderes Bedürfnis haben. Aber sie lassen es nicht zu. Die Welt muss laut und hektisch sein. Das Fliessband muss stetig in Bewegung sein. Es braucht immer Neues und immer noch mehr und mehr und mehr.

Eine graue Masse

Die Sichtweise der Neurotypischen ist die Sichtweise einer grossen, grauen Masse. Autisten sind aber wenige. Auch Behinderte oder sexuell anders orientierte oder Querdenker sind wenige. Doch es werden zum Glück immer mehr welche sich nach Aussen hin zeigen. Und es beginnen immer mehr Neurotypische an ihrer selbst geschaffenen Welt zu zerbrechen. Sie können sie nicht mehr ertragen. Und sie beginnen zu erkennen, dass die Ansichten der Wenigen vielleicht doch nicht so falsch sind. Denn wir sind in der Lage, weiter zu sehen. Wir sehen nicht nur den Moment oder das Eine. Wie sehen  in die Zukunft und das erst noch breit gefächert. Vermutlich wäre unsere aller Welt eine bessere, wenn die Minderheit in der Mehrheit wäre. Die Welt wäre viel toleranter, freundlicher und hilfsbereiter. Und sie würde kaum dermassen am Abgrund stehen, wie sie es jetzt tut. Mit all den Neurotypischen, welche auf Teufel komm raus kurz davorstehen, unsere Heimat zu zerstören.

crowd 2152653 1920

Uns braucht es

Würde man uns mehr mit einbeziehen, könnten wir gemeinsam eine bessere Welt erschaffen. Ich habe nichts gegen Neurotypische. Im Gegenteil, ich lerne vieles von ihnen. Doch sie müssen endlich auch anfangen Minderheiten zu respektieren und von ihnen zu lernen. Sie müssen endlich lernen, dass es noch andere Menschen auf diesem Planeten gibt. Und dass man diese respektieren und mit einbeziehen muss.

Kommentar verfassen