Welt-Autismus-Tag

Oft werden Autisten von anderen einfach in bestimmte Schubladen gesteckt. So einfach ist das aber nicht, denn den typischen Autisten gibt es nicht.

Autisten wissen, wovon sie reden, wenn sie sich und ihre Situation beschreiben. Sie sehen Autismus aus einer anderen, aus ihrer eigenen Perspektive. Autismus ist als tiefgreifende Entwicklungsstörung definiert. Aber es ist anders: Autismus ist angeboren. Das Gehirn funktioniert etwas anders als bei Nicht-Autisten. Es ist vor allem eine Frage der Wahrnehmung und die Frage, wie ein Autist Ereignisse filtert.

Bei den meisten Autisten fehlt dieser Schritt des Filterns oder er ist nicht so ausgeprägt. Etwa elf Millionen Sinneseindrücke werden pro Sekunde von unserem Gehirn verarbeitet. Nur etwa 40 davon nehmen wir bewusst wahr. Nicht alles wird zur Weiterverarbeitung an das Gehirn geleitet, denn es ist nicht darauf ausgerichtet, all die Informationen, auf die wir tagtäglich treffen, zu sortieren und zu verarbeiten.

Folglich selektieren wir. Bei Autisten ist das anders. Sie bekomme quasi alles, was sie sehen, fühlen und erleben, unverdünnt vorgesetzt, und damit müssen Autisten dann zurechtkommen. Diese Überstimulation bedeutet permanenten Stress.

Autisten versuchen, Reize zu vermeiden

Autisten gehen unterschiedlich mit der Reizüberflutung um, die auf ihr Gehirn einwirkt. Sie versuchen, aus der Situation rauszukommen und all das abzuwehren, was einfach zu viel ist. Das ist eine erste, wichtige Massnahme, um den Alltag einigermassen bewältigen zu können. Die Reize, die im Gehirn ankommen und die einem Autisten Probleme bereiten, sind ganz unterschiedlich.

Licht ist beispielsweise ein Faktor. Ich nutzen draussen zum Beispiel oft eine Sonnenbrille, weil ich grelles Licht nicht mag. Im Büro lasse ich die interne Beleuchtung weg, weil sie für mich sehr unangenehm ist. Ich bin lichtempfindlich. Es gibt Autisten, welche jedoch noch deutlich lichtempfindlicher sind. Manche können zum Beispiel Augenkontakt überhaupt nicht aushalten. Andere wiederum starren ihr Gegenüber an. Bei mir ist es so, dass ich nur mit grösster Mühe in die Augen anderer Menschen schauen kann. Ich empfinde es fast als eine Art von Schmerz. Darum lasse ich es normalerweise immer bleiben.

Auch bei Geräuschen reagiere ich teils extrem. Ich muss mich teilweise vor Geräuschen schützen, damit sich mein Gehirn nicht überladen kann und damit nicht alles aus dem Ruder läuft. Vielen geräuschempfindlichen Autisten fällt es beispielsweise schwer, die Stimme eines Gesprächspartners aus Hintergrundgeräuschen herauszufiltern. Dann wird ihnen schnell alles zu viel, im Gehirn entsteht Chaos. Sobald es bei mir zum Beispiel laut wird (zb. an physischen Meetings), oder nur schon wenn ich Arbeitskollegen entfernt sprechen höre, verliere ich die Konzentration komplett. Seit Corona gibt es bei uns häufig Video-Meetings. Dort fühle ich mich deutlich besser.

Gewinnen Geräusche die Übermacht, gibt es verschiedene Möglichkeiten, dies zu beeinflussen. Eine Option sind Kopfhörer, die Geräusche unterdrücken. Hilft das nicht, nutzen Autisten häufig auch das sogenannte Stimming, was so viel wie «selbstregulierendes Verhalten» bedeutet. Auch das kann vor Reizüberflutung ein wenig schützen. Diese Methode wirkt beruhigend und kann inneren Druck abbauen.

Motorische Abläufe wie etwa Wippen oder Springen gehören dazu, aber auch die Erzeugung verschiedener Laute wie beispielsweise Zählen oder das Schnippen mit den Fingern. So wird ein störender Reiz, der alles andere überlagert, mit einem Reiz überdeckt, der kontrollierbar ist. Ich kann mich zum Beispiel sehr gut mit «meiner» Musik ablenken, indem ich Kopfhörer aufsetze. Und da ich oft Techno höre, kommen mir diese gleichbleibenden, rhythmischen Töne zu gute, welche mich vor anderem Lärm schützten.

Ohne Menschen ist es besser

Eine der Eigenarten, die oft mit Autismus in Verbindung gebracht werden ist, dass Autisten grosse Probleme haben, unter Menschen zu sein.

Mit solchen Situationen werde auch ich häufig konfrontiert. Alleine oder mit nur 2-3 Menschen geht es gut. Sobald aber viele Menschen im selben Raum sind oder ich mich in einer sehr belebtem Umgebung befinde (zb. ein grosser Bahnhof), wird es sehr schnell stressig. Wenn ich mich darauf vorbereiten kann und ich weis, was kommt, geht es etwas besser. Sollte die Situation aber zu lange andauern, muss ich die Örtlichkeit verlassen. Bei einem Nicht-Autisten spielt das keine Rolle. Die fühlen sich unter vielen Leuten, auch auf engstem Raum wohl.

Ich habe es gerne, wenn ich mit wenigen Menschen sein kann, welche mich sehr gut kennen und welche ich sehr gut kenne. Noch lieber habe ich es, wenn ich alleine sein kann.

In die Augen sehen

Was bei autistischen Menschen oft als charakteristisch angeführt wird, ist der oben erwähnte Mangel an Blickkontakt. Wenn man mit anderen Menschen in Kontakt kommt, suchen diese bewusst den Kontakt zu den Augen. Doch diese ganze Partie im Gesicht bewegt sich ständig. Und dadurch, dass mir mein Hirn das Meiste ungefiltert hinwirft, sehe ich jede dieser Bewegungen, jedes Zucken, jedes Blinzeln. Da ist dann einfach viel zu viel los. Ich kann mich dann auf nichts konzentrieren. Es entsteht Unordnung im Kopf, die ich nicht bewältigen kann.

Gefühle

Eine Aussage welche ich regelmässig höre ist, dass Autisten gefühlsarm sind. Bei Autisten sind aber oft nicht zu wenige, sondern eher zu viel eGefühle da. Und auch Gefühle sind Reize. Bei einigen Autisten ist es so, dass sie gar nicht so genau wissen, wie sie sich gerade fühlen. Es sei einfach alles viel zu durcheinander. Es fehle die Zeit, Gefühle zu sortieren und zu ordnen. Die meisten Autisten seien sowieso viel zu beschäftigt damit, sich so zu benehmen wie Nicht-Autisten. Das koste Kraft und Energie.

Autisten sind «Chrampfer»

Autisten versuchen, äussere Reize jeglicher Art so gut wie möglich zu reduzieren, um sich nicht einer Reizüberflutung auszusetzen. So sind sie in der Lage, sich nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren, alles andere bleibt aussen vor. Dieser Zustand könne aber durch kleine Dinge massiv gestört werden, etwa durch das Flackern einer Lampe. Dieser Hyperfokus, die absolute Konzentration auf eine einzige Sache, kann durchaus negative Folgen haben. Bei einem Autisten kann es sein, dass sich kein Hungergefühl einstellt oder auch, dass die Person keinen Durst hat – egal ob es draußen kalt oder heiss ist.

Alles konzentriert sich eben nur auf eines. Das kann die Lösung komplizierter mathematischer Aufgaben sein oder etwa das Entwickeln einer Software. Wegen dieser Eigenschaften sind Autisten mittlerweile sehr beliebt in Hightech-Unternehmen, denn sie lassen sich meist durch nichts und niemanden von der Arbeit ablenken. Es gibt aber auch Autisten, die für so etwas völlig ungeeignet sind und den Fokus auf ganz andere Dinge legen.

Auf sich schauen

Ideale Bedingungen für das Leben eines Autisten gibt es nicht. Jedes Geräusch oder auch blinkende Lichter können den Pegel an Reizen verstärken. Und damit den Stress, für den es aber keine gängige Masseinheit gibt, die auf alle zutrifft. Ich empfehle in der Regel anderen Autisten eine Apple Watch oder ähnliches, die Blutdruck und den Puls misst. Daran kann man ganz gut ablesen, wie hoch der Stresspegel gerade ist.

Und der Stresspegel kann sogar in eigentlich entspannten Situationen ansteigen. Vor allem dann, wenn es in meinem Kopf rumort und ich nicht mehr aufhören kann, über Dinge nachzudenken. In Stresssituationen (welche man äusserlich nicht unbedingt sieht) kommt es manchmal dazu, dass ich in eine Traumwelt abschweife und plötzlich Sekunden, Minuten oder sogar länger abwesend bin.

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