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Wieso sind Autisten so lärmempfindlich?
Lärm ist eine chaotische Anordnung von Schallwellen. Und genau das ist das Problem für Autisten, weil ihnen der Filter für diesen chaotischen Lärm fehlt. Autisten nehmen alle Wellen auf einmal wahr. Sie können nicht wie neurotypische Dinge herausfiltern. Autisten bekommen immer das volle Programm. Natürlich, auch Neurotypische ertragen auf Dauer Lärm nicht. Und Lärm macht, wie man auch beim Bundesamt für Gesundheit nachlesen kann, krank. Doch Autisten leiden besonders stark unter Lärm.
Bei Autisten kann diese Lärmüberlastung zu unkontrollierten Ausbrüchen führen. Die Umgebung reagiert dann meistens sehr irritiert. Weil sie nicht wissen, warum plötzlich jemand anfängt zu schreien oder sich beginnt, komisch zu bewegen oder sich komisch verhält. Dabei ist es einfach die Überreaktion eines Autisten.
Ich bekomme Kopfschmerzen und werde Unruhig
Ich kenne das auch bei mir. Wenn es zu laut oder lärmig ist, kriege ich Schwindel und Kopfschmerzen. Und ich werde dann unausstehlich. Und manchmal beginne ich sogar über die Verursacher zu fluchen und benenne sie mit beleidigenden Begriffen. Das kommt einfach aus mir raus. Ich kann das kaum kontrollieren.
Viele Autisten hören deswegen auch keine oder nur sehr wenig Musik. Ich hingegen, und da bin ich wohl eine Ausnahme, kann nicht genug Musik hören. Am liebsten etwas lauter als üblich. Das ist das Einzige, was ich in Sachen „Lärm“ ertrage. Laute Musik. Techno. Dann kann ich so richtig abschalten. Ich denke es hat damit zu tun, dass für mich diese Musik kontrolliert stattfindet. Der Takt ist in der Regel immer derselbe. 4/4. Etwas langsamer oder schneller. Aber immer identisch. Ich kann mich auf diese Musik verlassen, weil sie so kalkulierbar ist.
Aber in einer Stadt oder in einem Restaurant, da wird es für mich bereits schwierig. Die Muskeln meines Körpers beginnen sich anzuspannen. In meinem Hirn regt sich grosser Widerstand. Ich bekomme ein unangenehmes, lähmendes Gefühl. Ich spüre die Anspannung direkt hinter meinen Augen.
Restaurant
Im Restaurant. wenn es viele Gäste hat, lärmt es ja meistens enorm. Man hat den Eindruck, dass jeder mit jedem spricht. Für mich ist das dann ein Dröhnen. Ich weiss nicht mehr, woran ich mich festhalten kann. Dutzende Gespräche prasseln miteinander auf mich ein. Mir wird dann richtig übel. Meine Ohren schmerzen. Und ich muss einfach weg, einfach nur weg.
Und auf den Strassen ist es ebenfalls schlimm. Vor allem verkehrsreiche Strassen. Lastwagen, Baufahrzeuge, Motorräder, Autos. Und alles auch noch in unregelmässigen Abständen. Völlig unkontrollierbar. Auch wenn ich teils grosse Umwege machen muss – ich wähle ruhige Strassen und Wege.
Besser meiden als bleiben
Grundsätzlich meide ich öffentliche Orte. Restaurants und Strassen. Kinos und Clubs. Partys und Dorffeste. Und so geht es vermutlich vielen anderen Autisten. Das ist einer der Gründe, wieso Autisten sozial isoliert sind. Sie ertragen die Aussenwelt nicht, weil sie zu laut und hektisch ist. Die Welt ist ein Ort des Lärms. Also bleiben wir lieber zu Hause.
Das soziale Leben ist eigentlich ein wichtiger Bestandteil eines jeden menschlichen Lebens. Menschen sind soziale Wesen. Aber Autisten können das im normalen Fall nicht auskosten, weil vieles nicht ertragbar ist. Darum schreibe ich auch immer wieder, dass Autismus eine Behinderung ist. Es ist nicht nur ein „anders sein“, wie man es oft liest. Wenn man sich vom sozialen Leben fernhalten muss, weil man diesen Lärm nicht erträgt, ist das für den betroffenen Autisten behindernd. Und darum ist für mich Autismus eine Behinderung, und nicht nur ein „Anders sein“.
Behördenversagen
Die Behörden tun sich bis heute schwer damit, Autismus als eine Behinderung anzuschauen. Deswegen sind Autisten in der Schweiz auch benachteiligt, weil man sie nicht wirklich als behindert anschaut. Leider stehen auch viele Autisten selbst nicht dazu, dass sie eigentlich behindert sind. Weil das Wort „behindert“ halt nicht so schön klingt, wie „anders zu sein“. Doch man sollte dazu stehen. Denn sonst ändert sich für Autisten nichts, weil die Politik keinen Handlungsbedarf sieht.
Lärm muss nicht immer laut sein. Er kann auch sehr leise sein. Und auch das kann stressen. Denn, sobald ein Geräusch vorhanden ist, richtet sich der Fokus auf dieses Geräusch. Neurotypische können so etwas leicht mal ausblenden. Das gelingt mir nicht. Es ist wieder einmal der fehlende Filter. Und ich drehe dann grundsätzlich durch und muss einfach nur weg oder das Geräusch einfach eliminieren.
Eigentlich ist das mit der Reizintoleranz bezüglich Lärm nicht nur ein ASS-Thema, auch andere neurodiverse Menschen können gleich fühlen, Menschen mit Hochsensibilität überhaupt (die ja auch andere Ursachen haben kann, aber das ist ein separates Thema).
Betr. Behinderung fällt es manchen vielleicht leichter es so zu formulieren: nicht ASS an sich muss ich als Behinderung betrachten, aber ASS in der jetzigen Welt (die immer voller, lauter, schneller, greller, anspruchsvoller wird) macht es zu einer Behinderung. Die heutige Lebensform, Gesellschaft etc. ist auf jeden Fall ein Verstärker der Situation und provoziert mehr Probleme.
Auch eine Erkrankung (z.B. postinfektiöse Fatigue wie Long Covid) verstärken vielfach die Reizintoleranz und können es Asslern massiv erschweren in der jetzigen Welt zu existieren.
Es scheint mir, wer gerne Einzelgänger:in ist, sich so wohl fühlt (und die Menschen gibt es), hat damit zumindest zu einem Teil Glück gehabt und leidet wenigstens bezüglich Isolation etwas weniger.
Danke dir auf jeden Fall für deine Beiträge!
Euch allen wünsche ich viel Ruhe, gute Erholungsmöglichkeiten und einen nicht zu heissen Sommer!
Vani
Danke Vani für Deinen ergänzenden Beitrag.
Einzelgänger zu sein hat sicher Vorteile. Kann aber manchmal auch belastend sein. Vor allem dann, wenn man Hilfe benötigt und niemand da ist, den man fragen könnte.
Auch Dir einen ruhigen Sommer. Ich mag ja lieber den Winter, weil es dann irgendwie ruhiger ist.
Markus