Basler Forscher entwickeln Pille gegen schwere Form von Autismus
Autismus tritt in unterschiedlichsten Ausprägungen auf. Manche Personen leiden darunter stark. Für sie gibt es derzeit keine Therapie, welche die neurologische Entwicklungsstörung ursächlich behandelt. Das möchte ein Spin-off der Uni Basel nun ändern.
Mitverantwortlich für das veränderte Sozialverhalten bei Autismus sollen oft Genveränderungen sein, eine davon in dem Gen Neuroligin-3. Wie ein Forschungsteam der Universität Basel um Peter Scheiffele, Professor für Neurobiologie am Biozentrum der Uni Basel, in Mäusen nachweisen konnte, werden durch die Mutation Proteine unreguliert in den Nervenzellen produziert, was wiederum die Signalwege des «Kuschelhormons» Oxytocin im Belohnungssystem des Gehirns stört. Und das ruft Veränderungen im Sozialverhalten hervor.
Dieser molekulare Mechanismus soll genutzt werden, um gezielt eine Therapie gegen eine schwere Form des Autismus zu entwickeln. Dafür hat der Neurowissenschafter Özgür Genç, der auch in der Forschungsgruppe von Scheiffele tätig ist, das Spin-off Translation-X initiiert.
Bisherige Therapien adressieren nicht Kernsymptome
Zwar existieren bereits heute verhaltenstherapeutische Ansätze, die vor allem im frühkindlichen Alter helfen können. Ebenso lassen sich begleitende Symptome wie Depressionen oder aggressives Verhalten mit Medikamenten behandeln. Allerdings gibt es für all dies nicht ansatzweise genügend Therapieplätze: «Sehr dringend benötigte Therapien wie Psychotherapien, Logopädie, Ergotherapien, Sozialkompetenztraining und so weiter können aufgrund des grossen Fachkräftemangels nicht umfassend angeboten werden». Özgur Genç hält zudem fest, dass die die derzeitigen Behandlungsmethoden nicht die Kernsymptome von schwerem Autismus adressieren.
Rund 0,6 % – 0,8 % Prozent der Bevölkerung ist von Autismus betroffen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine homogene Gruppe. So gibt es Personen, die eine sehr hohe Intelligenz und Selbstständigkeit aufweisen. Andere wiederum sind geistig stark beeinträchtigt, sodass sie ihre Bedürfnisse nicht verständlich ausdrücken können. Selbstverletzendes Verhalten, Depressionen, weitere Begleiterkrankungen und ein damit einhergehender Unterstützungsbedarf können bei allen Betroffenen, unabhängig von ihrem IQ, gross sein.
Kann eine Pille helfen?
Der Grund für die vielfältigen Ausprägungen liegt darin, dass es mehr als hundert bislang bekannte Gene gibt, die mit autistischen Symptomen in zusammenhängen (Autismus ist zu einem grossen Anteil genetisch bedingt). Neuroligin-3 ist also nur ein «Autismus-Gen» von vielen. «Wir sind uns bewusst, dass wir mit unserem Ansatz nicht allen Autisten helfen können», sagt der Basler Forscher. Aber das ganze Spektrum von Autismus abzudecken, werde nie ein Medikament alleine können. «Anderes zu behaupten wäre wissenschaftlich unhaltbar.» Genç schätzt, dass von Neuroligin-3- Ansatz zwischen 5 und 10 Prozent der Betroffenen profitieren könnten.
Er und seine Kollegen arbeiten derzeit daran, den pharmakologischen Wirkstoff zu verbessern, der die durch die Neuroligin-3-Mutation ausgelöste Proteinüberregulation wieder ins Lot bringen soll. Seine Hoffnung ist, eine entsprechende Pille in zwei bis drei Jahren in klinischen Studien am Menschen testen zu können.
Doch wäre eine Behandlung mit einer solchen Pille überhaupt erwünscht? Es gibt sicher Betroffene mit Autismus, die sich gegen ein solches Medikament entscheiden würden, weil sie sich ihrer Persönlichkeit beraubt fühlten. Andere mit vielleicht schwerem Autismus würden die Option sicher schätzen.