Bitte nicht berühren?

Wenn man ein autistisches Kind grosszieht, stellt man sich häufig auch Fragen zur Zuneigung. Wenn es um Autismus und Berührungen geht, reagiert jedes Kind anders darauf.

Menschen mit ASS haben grosse Herausforderungen zu bewältigen

Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung haben Herausforderungen in der sozialen Entwicklung zu bewältigen, wie z.b. Probleme bei der Entwicklung spielerischer Fähigkeiten, bei der zwischenmenschlichen Kommunikation oder beim Ausdruck ihrer Gefühle, Bedürfnisse und Ideen. Beispielsweise scheinen einige Autisten desinteressiert auf die Zuneigung liebender  Menschen zu reagieren, während andere möglicherweise sehr anhänglich sind.

Fehlt die Zuneigung?

Menschen mit Autismus können auch eine Abneigung gegen Berührungen haben. Berührungen können bei Autisten einen Mangel an emotionaler Reaktion aufzeigen, oder auch zu emotionalem Stress führen. Berührungsaversion bei Autismus kann für Freunde und Familie, die mit dieser häufigen Reaktion nicht vertraut sind, unangenehm und schwierig sein. Die Abneigung gegen Berührungen kann als Mangel an Zuneigung missverstanden werden. Menschen mit Autismus empfinden jedoch genauso stark wie Menschen ohne Autismus. Sie  drücken ihre Zuneigung ebenso aus wie Menschen ohne Autismus – teilweise einfach anders, als man es sich vielleicht gewohnt ist. Wenn Angehörige und Freunde lernen zu verstehen, wie Menschen mit Autismus Zuneigung und Berührungen empfinden, können sie auch besser verstehen, wie sie einer autistischen Person Zuneigung vermitteln- und die Gefühle des Autisten erkennen und darauf reagieren können.

Zuneigung, ob emotional oder körperlich, ist ein entscheidender Teil bei der Erziehung eines gesunden Kindes. Wenn Eltern mit einem autistischen Kind versuchen, ihre Zuneigung auf traditionelle Weise auszudrücken, kann es jedoch zu unangenehmen Herausforderungen kommen. Eltern können entmutigt werden, wenn ihr Kind nicht in der von ihnen erwarteten Weise auf Zuneigung reagiert.

Einige Autisten zeigen möglicherweise leere oder mehrdeutige Ausdrücke, die schwer zu interpretieren sind. Diese Tendenz steht im Zusammenhang mit einem Merkmal namens Alexithymie. Autisten im Spektrum vermeiden möglicherweise auch den Augenkontakt oder haben Probleme, die Gesichtsausdrücke anderer zu verstehen.

Es ist aber ein Mythos, dass sich alle Autisten gleich verhalten oder das Autisten emotional nicht ausdrucksfähig sind.

Der emotionale Ausdruck ist für Menschen im Spektrum höchst individuell und kann auf eine Weise erfolgen, welche mit der sozialen Norm übereinstimmt oder halt auch von dieser abweicht.

Berührungen

Berührung ist ein weiterer, bekannter Aspekt der Zuneigung, auf welchen Autisten unterschiedlich reagieren können. Forscher haben herausgefunden, dass bestimmte Gehirnregionen, die normalerweise durch soziale Berührungen stimuliert werden, bei Menschen mit Autismus weniger stark reagieren. Die Forscher vermuten weiters, dass Berührungen von manchen Autisten möglicherweise nicht als sozial relevant interpretiert werden. Für sie sind Berührungen unwichtig und störend.

Eine Berührung, die für jemanden ohne Autismus tröstend und beruhigend ist, kann sich für manche Menschen mit Autismus manchmal als unangenehm und sogar belastend erweisen. Herausforderungen bei der sensorischen Verarbeitung führen auch zu einer zusätzlichen Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Anblicken, Geräuschen und Gefühlen, welche für Menschen mit Autismus leicht überreizend, überwältigend oder beängstigend wirken können. Es wäre falsch zu behaupten, dass alle Menschen mit Autismus eine Abneigung gegen Berührungen haben – manche geniessen gBerührungen, andere geniessen sie vielleicht in bestimmten Kontexten oder Formen und wieder andere können nichts mit Berührungen anfangen. Wie bei den meisten Merkmale von Autismus, ist die Reaktion einer Person auf Berührung individuell und sollte respektiert und niemals erzwungen werden.

Wie soll man seine Zuneigung ausdrücken?

Da einige Autisten unkonventionelle Reaktionen auf emotionale Zuneigung sowie eine minimale Reaktion oder Abneigung gegen Berührung zeigen, fragen sich Angehörige möglicherweise, wie sie gegenüber des Autisten am besten Zuneigung ausdrücken können. Es kommt schlussendlich immer darauf an, in welchen Situationen sich ein Autist wohl und sicher fühlt.

Körperliche Berührungen sollte man nicht erzwingen, wenn es dem Autisten Unbehagen bereitet. Indem man sich um eine autistische Person kümmert und man für ihn sorgt, ihn in Zeiten der Not unterstützt und sich auch auf dessen Lieblingsbeschäftigungen, Interessen und Leidenschaften einlässt, geben Angehörige genau die Liebe, Zuneigung und Fürsorge, welche  es braucht. Es braucht also nicht immer Berührungen. Liebe kann man auch auf eine andere Art und Weise zeigen.

Beobachten und lernen

Idealerweise beobachtet man den Autisten und versucht zu erkennen, zu welchen Aktivitäten sich der Autist hingezogen fühlt oder worauf er emotional gut reagiert. Dann kann man daran arbeiten und diese positiven Reaktionen verfeinern. Es ist wichtig, emotionale Wärme und Unterstützung anzubieten, auch wenn der Autist keine offensichtlichen, äusseren Reaktion zeigt. Ein Gespräch mit dem Autisten über dessen Interessen, das gemeinsame Anschauen einer Lieblingssendung oder das gemeinsame Spielen eines Lieblingsspiels, kann dem Autisten viel bedeuten.

Man muss sich anpassen

Es ist wichtig zu berücksichtigen, wie sich ASS bei jedem Betroffenen individuell manifestiert und die eigenen Erwartungen oder die elterlichen Strategien anzupassen sind, damit sich der Autist sicher und unterstützt fühlt. Das Anpassung des eigenen Verhaltens und der eigenen Erwartungen ist ein fortlaufender Prozess, bei dem Betreuende durch neue und manchmal auch schwierige Erfahrungen herausfinden können, was funktioniert und was nicht. Wenn Angehörige mehr darüber erfahren, wie das autistische Familienmitglied die Welt erlebt und was ihm das Gefühl gibt, geliebt zu werden, ist es auch einfacher, diese Informationen an Freunde und Verwandte weiterzugeben.

Kommunikation zwischen den Angehörigen und Freunden ist wichtig

Freunde und Familie verstehen möglicherweise nicht immer, warum jemand mit Autismus distanziert wirkt oder in sozialen Situationen keine Zuneigung zeigt. Darum ist es wichtig, wenn man innerhalb von Familien und auch im Freundeskreis auf die besonderen Schwierigkeiten des Autisten hinweist, beispielsweise bei der Empfindlichkeit gegenüber Berührungen oder gegenüber bestimmten sozialen Situationen. Eltern können dadurch anderen dabei helfen, besser mit der autistischen Tochter oder dem autistischen Sohn zu interagieren, indem sie ihnen Vorschläge zu Aktivitäten oder Gesprächsthemen machen, die dem Autisten spass machen. Manchen Eltern fällt es anfänglich jedoch schwer, solche Gespräche zu führen. Versuchen sie es jedoch immer wieder. Mit der Zeit wird es besser gehen und ihrem autistischen Familienmitglied ist damit auch besser geholfen.

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