Grundzüge von Autismus-Spektrum

Wie Autismus kommt auch das Autismus-Spektrum in verschiedenen Schweregraden vor. Das AS ist angeboren und nicht heilbar. Die meisten Menschen mit AS wollen auch nicht «geheilt» werden, weil sie zufrieden sind, wenn sie ihren Lebensstil leben können. Das AS macht Menschen tendenziell zu Einzelgängern, weil sie wegen ihrer Eigenart, ihrem sozialen Verhalten und ihren Spezialinteressen als sonderbar oder egozentrisch wahrgenommen werden. Soziale Kontakte zu pflegen, ist für sie eine besondere Herausforderung, weil sie sich nicht vorstellen können, was andere denken und fühlen oder sagen und tun werden. Als Folge verhalten sie sich oft unpassend. Beispielsweise dominieren sie entweder die Konversation oder nehmen gar nicht daran teil.

Ihre «Spezialinteressen» wecken oft Bewunderung und können auch zu grossen beruflichen Erfolgen führen. Aber es besteht die Gefahr, dass sie manchmal kein Interesse haben für andere Dinge, die sie sonst noch lernen sollten.

Menschen mit AS müssen sich bewusst anstrengen, um in die Gesellschaft zu passen. Sie müssen das Verhalten innerhalb der Gesellschaft schrittweise lernen und bewusst anwenden. Die Welt kommt ihnen vor, als seien sie auf einer anderen Erde zuhause. Menschen mit AS sind aber sehr starke Persönlichkeiten und es kümmert sie wenig, ob sie als cool gelten oder nicht. Leider kann dies negativ auffallen und zu verletzenden Reaktionen von Seiten der Mitmenschen führen.

Autisten sind anders, als man denkt

Das AS behindert die Fähigkeit, nicht-verbale Hinweise zu verstehen. Beispielsweise erkennt eine Person mit AS nicht, wenn jemand durch Körpersprache zu verstehen gibt, dass er in Eile, beschäftigt oder besorgt ist oder gerade weggehen wollte. Auch Zweideutigkeiten, Sarkasmus und Anspielungen werden nicht verstanden. Wenn Menschen mit AS sprechen, ist die Aussage direkt und unverblümt, die Stimme laut oder sehr leise und monoton. Dies kann je nachdem grob, arrogant, rücksichtslos oder abweisend wirken. Aber sie meinen es nicht so. Wer sich die Zeit nimmt, um hinter die Fassade zu blicken, wird feststellen, dass es sich lohnt. Einige Menschen mit AS durchlaufen eine Hochschulausbildung, heiraten, haben Kinder und machen Karriere. Manche haben noch keine Diagnose erhalten. Eine Diagnose wird aber meistens als Erleichterung erlebt, weil plötzlich klar wird, warum gewisse Dinge so schwierig sind. Viele Probleme, die Menschen mit AS im Leben haben, treten auch am Arbeitsplatz in Erscheinung.

Probleme, welche Menschen mit AS haben können

  • Die Haltung: «So wie ich es tue, ist es am besten»
  • Selbstgespräche
  • Schwierigkeiten, mit etwas zu beginnen nicht wissen wo anfangen
  • Mangel an Empathie
  • Schwierigkeiten im Umgang mit Autoritätspersonen
  • Problem, in einer Gruppe zu verkehren
  • Überforderung bei Multitasking
  • Problem, den vollen Umfang eines Projekts zu erkennen
  • Problem mit unstrukturierter Zeit
  • Schwierigkeiten, Berichte zu schreiben
  • Übertriebene Reaktion oder Überempfindlichkeit bei Kritik
  • Problem, Aufgaben zu erledigen, wenn nicht interessant
  • Fragt zu viel oder zu oft das Gleiche
  • Perfektionismus
  • Schlechte Urteils- und Entscheidungsfähigkeit
  • Schlechte Manieren
  • Abneigung, um Hilfe oder Rat zu bitten
  • Widerstand gegen Veränderungen
  • Sarkasmus, Pessimismus, Nörgelei
  • Langsam in Leistung und Produktivität
  • Stress, Frustration oder Wutausbrüche bei Veränderungen oder Unterbrechung
  • Problem, die Initiative zu ergreifen
  • Angst mit neuen Leuten, bei Veränderungen oder neuen Situationen
  • Abrupte Äusserung von Gedanken, Ideen oder Meinungen
  • Eigensinn, unwillig andere Standpunkte zu akzeptieren

Stärken, welche Menschen mit AS haben können

  • Ausgezeichnetes Gedächtnis zum Auswendiglernen
  • Gute Auffassungsgabe für Fakten
  • Im Allgemeinen gute Leistungen in Mathematik und Wissenschaften
  • Begabung für Sprachen
  • Ehrlich
  • Hält sich an Regeln, deshalb gute Arbeitshaltung
  • Gewissenhaft
  • Detail-orientiert
  • Fleissig
  • Fokussiert (im Rahmen des persönlichen Interessens)
  • Intelligent
  • Gutherzig

Theory of Mind

Theory of Mind oder Mentalisierung bezeichnet die Fähigkeit zu vermuten, welche Gefühle, Bedürfnisse, Absichten, Erwartungen und Meinungen andere Menschen haben könnten. Menschen mit AS haben nicht die Vorstellungskraft, um die Gefühlswelt anderer Menschen empathisch wahrzunehmen. Weil ihnen die «Theory of Mind» fehlt, glauben sie, alle denken und empfinden so wie sie. Sie können sich nicht vorstellen, dass beispielsweise ihre Arbeitskollegen andere Gedanken oder Gefühle überhaupt haben. Deshalb erkennen sie Unehrlichkeit schlecht, da sie selbst grundehrlich sind. Ein Mangel an «Theory of Mind» ist die Ursache von vielen Beziehungs- und Kommunikationsproblemen.

Selbstachtung, Vertrauen und Depression

Wegen der vielen Schwierigkeiten, denen Menschen mit AS im täglichen Leben begegnen, haben sie wenig Selbstachtung und Vertrauen und leiden manchmal an Depressionen. Die oben aufgezählten Probleme und die Tatsache, sich selbst nicht zu verstehen, tragen dazu bei. Durch Entfremdung und Ausgeschlossen sein aufgrund der Andersartigkeit kann Selbstabscheu und Hoffnungslosigkeit entstehen. Depressionen führen zu ungenügenden Arbeitsleistungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Isolation und im schlimmsten Fall zu Suizid, um dem Leiden ein Ende zu setzen.

Alarmzeichen für eine Depression

  • Andauernde Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit
  • Erhöhte Irritierbarkeit, Wutanfälle, Nervosität
  • Veränderung der Ess- oder Schlafgewohnheiten
  • Vergesslichkeit
  • Schuldgefühle und Mangel an Selbstachtung
  • Keine Begeisterungsfähigkeit, wenig Motivation und Energie
  • Alkohol- oder Drogenmissbrauch
  • Suizid-Androhungen

Der beste Weg, um jemand aus einer depressiven Stimmung zu holen, ist es auf seine Stärken zu bauen, eine Umgebung von Wertschätzung und Unterstützung zu schaffen und klare Grenzen und Erwartungen zu formulieren. Durch positive Erfahrungen werden Selbstvertrauen und ein gutes Selbstwertgefühl aufgebaut und die Depression kann nachlassen. Schwere Fälle von Depression benötigen ärztliche Hilfe, aber Autismus-Spektrums-Störungen lassen sich nicht mit Medikamenten behandeln, obwohl sie bei Nebensymptomen hilfreich sein können.

Gedächtnis

Das Langzeitgedächtnis ist ein bemerkenswertes Attribut der meisten Menschen mit AS. Sie können eine Menge Daten aufnehmen, wenn sie sich dafür interessieren.

Sinn fürs Detail

Viele Menschen mit AS haben einen ausgeprägten Sinn für Details. Eine Schwierigkeit liegt aber darin, dass dies zum Perfektionismus ausarten kann und deshalb zum Beispiel die Arbeit zu spät fertig wird. Ist der Perfektionszwang nicht zu stark, kann er gemildert werden. Andernfalls ist Hilfe durch eine Verhaltenstherapie nötig.

Urteilsvermögen und gesunder Menschenverstand

Es ist ein Charakteristikum des Autismus-Spektrums, dass die Urteilsfähigkeit und der gesunde Menschenverstand beeinträchtigt sind. Im sozialen Kontakt kann dies schwerwiegende Folgen haben. Es gibt zwar Strategien zur Milderung, aber ganz lässt sich das Problem nicht aus der Welt schaffen.

Selbstachtung

Viele Menschen mit AS hatten in ihrer Kindheit traumatische Erlebnisse, weil sie in der Schule ausgelacht, gehänselt oder geplagt wurden. Dies beeinträchtigt das Selbstwertgefühl bis ins Erwachsenenalter. Aber wenn sie im Leben vorwärts kommen wollen, müssen sie solche Vorkommnisse hinter sich lassen und lernen, sich selbst zu achten.

Sie müssen lernen:

  • die Unterschiede zu akzeptieren und Einmaligkeit zu zelebrieren
  • die Diagnose zu akzeptieren
  • die Schwierigkeiten zu akzeptieren

Unterschiede akzeptieren und Einmaligkeit zelebrieren

Für Menschen mit AS ist es das Wichtigste, ihre Stärken, Begabungen und Einmaligkeit zu erkennen. Was Menschen mit AS der Welt geben können, sollte nicht überschattet werden durch ihre Schwierigkeiten. Nicht ihre Störungen sollten im Vordergrund stehen, sondern der Autist als Persönlichkeit.

Innovativ, kreativ, genial, begabt, brillant und intelligent sind Eigenschaften, die man in Bezug auf Menschen mit AS oft hört. Berühmte Leute wie Einstein, Beethoven, Alexander Graham Bell, Henry Ford, Van Gogh und Howard Hughes, sollen Charakterzüge des Autismus-Spektrums gezeigt haben. Wäre das Autismus-Spektrum damals schon bekannt gewesen, würde die Gesellschaft jetzt wahrscheinlich anders darüber denken. Dass sich nun aber eine Wandlung vollzieht, ist an Produktionen wie Dr. Spock, Star Trek, Rain Main und As Good as it Gets zu erkennen. Die Gesellschaft respektiert Andersartigkeit in zunehmendem Mass. Das Wichtigste jedoch ist, dass auch Betroffene ihre Einmaligkeit nicht als Nachteil sehen. Designer, Modeschöpfer, Musiker und andere Künstler versuchen bewusst, sich durch Einmaligkeit hervorzuheben. Wenn Menschen mit AS versuchen, etwas Positives aus ihrer Andersartigkeit zu machen und das Störende zu reduzieren, kann viel Gutes in ihrem Leben geschehen.

Diagnose akzeptieren

Durch die Diagnose wird ein Mensch mit AS als «kognitiv anders» bezeichnet. Dies ist keine Wahl, sondern Fakt. Wird diese Tatsache akzeptiert, können die damit verbundenen Schwierigkeiten erkannt und Strategien dagegen entwickelt werden. Eine Ablehnung durch die Betroffenen verhindert die persönliche Weiterentwicklung, weil Fehler nicht gesehen und deshalb aus ihnen nichts gelernt werden kann. Manchmal wollen auch Familien die Realität nicht sehen. So ist die Familie keine Hilfe für Betroffene und für Fachpersonen wird die Unterstützung schwierig. Die Betroffenen müssen verstehen lernen, welche Vorteile es hat, die Diagnose zu akzeptieren. Sie erhalten nämlich die Möglichkeit, sich selbst kennen zu lernen, ihrem Leben eine Richtung zu geben, eine Wahl zu haben, mit den Schwierigkeiten umzugehen und ihre Zukunft positiv zu beeinflussen.

Die Schwierigkeiten akzeptieren

Auch wenn Betroffene die Diagnose nicht akzeptieren, haben sie doch die Möglichkeit, ihre Schwierigkeiten zu sehen. Dies fällt Menschen mit AS zwar nicht leicht, weil sie eine schlechte Selbstwahrnehmung haben, aber mit Unterstützung können sie ein klareres Bild von sich selbst gewinnen. Tatsächlich ist die Wahrnehmung ein wichtiger Teil des Entwicklungsprozesses. Anerkennt der Kandidat seine Schwierigkeiten, so kann er mit geeigneten Strategien und Anstrengung etwas dagegen tun und es entstehen Freiräume zur Entfaltung der Potentiale.

Menschen mit AS sind meist neugierig zu erfahren, wie andere Menschen sie wahrnehmen, erhalten jedoch selten eine Erklärung. Erst wenn sie die Zusammenhänge verstehen, können sie daraus lernen. Es gibt inzwischen genügend Beispiele von Erwachsenen mit AS, die gelernt haben, sich im Leben trotz Erschwernissen gut einzurichten.

Eigenverantwortung

Verantwortung für sich selbst zu übernehmen ist eine persönliche Haltung, die man nicht geschenkt erhält. Menschen mitAS müssen lernen, dass sie für ihr Tun und Lassen verantwortlich sind. Erfolg und Misserfolg sind Folgen des eigenen Verhaltens und hängen weniger von äusseren Umständen als von sich selber ab. Wer seine Hand ins Feuer hält, wird verbrannt. Wer sich am Arbeitsplatz schlecht benimmt, verliert die Stelle. Verantwortung für sich selbst zu übernehmen heisst, sein Fehlverhalten zu erkennen und aus allfälligen Folgen lernen.

Jemandem mit AS kann Eigenverantwortung auf zwei Arten beigebracht werden:

  • durch Vorbild
  • als Erfordernis

Vorbild

Ein passiver Menschen, der sich selbst bemitleidet und andere für seine Lebensumstände verantwortlich macht, ist ein schlechtes Vorbild für jemanden mit AS. Wenn ein Kandidat mit Menschen aufwachsen durfte, die Verantwortung für ihr Handeln übernahmen, Fehler zugaben, sich anstrengten für das, was sie im Leben erreichen wollten, profitiert ein Autist enorm.

Erfordernis

Erwartungen werden eher erfüllt, wenn sie als Erfordernis anerkannt werden. Wir alle erfüllen Erfordernisse, da wir sonst die Folgen zu tragen hätten. Menschen mit AS wissen nicht von sich aus, was von ihnen erwartet wird. Man muss es ihnen sagen. Für ein Verhalten die logische Folge eintreten lassen, ist der beste Weg, jemandem mit AS Eigenverantwortung zu lehren.

Mit den Folgen konfrontieren

Ein Mitarbeiter mit AS, der nicht in ordentlicher Kleidung zur Arbeit kommt, wird zum Umziehen nach Hause geschickt und muss die verlorene Zeit später nachholen. Wenn er ordentlich angezogen zur Arbeit kommt, wird er gelobt: «Heute siehst du sehr gut aus!» Er merkt, dass er die Wahl hat: entweder sich richtig anzuziehen oder nach Hause geschickt zu werden. Entscheidet er sich für ordentliche Kleidung, hat er sich einen Schritt weiter entwickelt.

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