Die Kapazität unseres Gehirns für die Verarbeitung und Speicherung von Informationen hängt wesentlich von den Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen ab. Hier spielen chemische Synapsen eine bedeutende Rolle, da sie die wichtigste Schnittstelle für die Übertragung von Informationen zwischen einzelnen Nervenzellen bilden. Störungen bei der Entstehung von Synapsen sind die Ursache wie zum Beispiel Autismus. Neurobiologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben neue Anhaltspunkte gefunden, dass spezifische Kalziumkanal-Untereinheiten wesentlich an der Entstehung von erregenden und hemmenden Synapsen beteiligt sind.
α2δ-Untereinheiten wirken unterschiedlich auf Neubildung von Synapsen
Bei der Autismus-Spektrum-Störung handelt es sich um eine Entwicklungsstörung, die von Geburt an auftritt und sich später meist in Problemen beim sozialen Austausch und der Kommunikation zeigt. Es wird vermutet, dass eine Störung bei der Kommunikation zwischen Nervenzellen über Synapsen eine wesentliche Ursache ist.
Mehrere Arbeiten deuten darauf hin, dass sogenannte α2δ-Untereinheiten von Kalziumkanälen an der Bildung und Feinsteuerung von erregenden und hemmenden Nervenzellen beteiligt sind. Jedoch wann und wie spezifisch die vier Formen der α2δ-Untereinheiten im Einzelnen involviert sind, war bislang nicht bekannt und wurde in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Heine vom Institut für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie der JGU untersucht. Spannend ist, dass die zwei dominanten α2δ-Untereinheiten im Hippokampus, α2δ1 und α2δ3, unterschiedliche Wirkung auf die Synaptogenese in neuronalen Netzwerken haben.
Um den Mechanismus zu entschlüsseln, verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler isolierte Netzwerke von Neuronen des Hippokampus. Die Ergebnisse zeigen, dass in der frühen Entwicklung neuronaler Netze die Untereinheit α2δ3 die Freisetzung eines hemmenden Neurotransmitters fördert, die Bildung von hemmenden Synapsen auslöst und das Auswachsen von Axonen hemmender Neurone anregt. „Die α2δ3-Untereinheit ist offensichtlich für die frühe Entwicklung von neuronalen Netzwerken ein wichtiger Partner“, erklärt Heine. In der späteren Entwicklung und in reiferen neuronalen Netzwerken fördert die Untereinheit α2δ1 die erregende Reizübertragung und Synaptogenese.
Verknüpfung durch konzertiertes Zusammenwirken von α2δ1 und α2δ3
„Nach unserer Einschätzung geht die Herstellung von Synapsen in neuronalen Netzen mit einem fein abgestimmten Zusammenspiel der Untereinheiten α2δ1 und α2δ3 von Kalziumkanälen einher“, schreiben die Autoren in einem Beitrag für die Fachzeitschrift The Journal of Neuroscience. Dr. Artur Bikbaev, einer der Erstautoren von der Uni Mainz, weist abschließend darauf hin, dass es sich bei den Kalziumkanal-Untereinheiten um psychisch relevante Moleküle handelt. Neue Daten bestätigten die Vermutungen, dass es zwischen einer Abweichung bei den Genen, die für die Untereinheiten α2δ1 und α2δ3 kodieren, und autistischen Störungen einen Zusammenhang gibt. Ein Ungleichgewicht von Erregung und Hemmung gilt auch als Ursache epileptischer Anfälle, die extrem häufig als Begleiterkrankungen einer Autismus-Spektrum-Störung auftreten.
An der Forschungsarbeit waren außer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der JGU auch Forschende des Leibniz Instituts für Neurobiologie, der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Medizinischen Universität Innsbruck beteiligt.
Weiterführender Link:
* https://www.blogs.uni-mainz.de/fb10-fnb-idn-de/ – Forschungsgruppe Funktionelle Neurobiologie
Lesen Sie mehr:
* https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11315_DEU_HTML.php – Pressemitteilung „Nanodomänen an neuronaler Kommunikation beteiligt“ (30.04.2020)